Braskem, der größte Hersteller von Biokunststoffen, und Polytan entwickelten nachhaltigen Kunstrasen. Im Interview mit ON TOP erklärt Martin Clemensha die Vorteile.
Braskem und Polytan: Biobasierter Kunststoff für Kunstrasen
Polytan goes green – dieses Ziel hat viele Facetten. In erster Linie natürlich Nachhaltigkeit, worunter wir aber nicht nur die Umweltverträglichkeit unserer Produkte verstehen, sondern auch deren Produktion mit erneuerbaren Energien.
Ferner gehören für uns auch die ökologischen Vorteile unserer Kunstrasenplätze dazu, umweltgerechte Recycelingverfahren und selbstverständlich unsere soziale Verantwortung gegenüber Sportlern und Vereinen. Eines unserer Hauptziele besteht heute darin, den Kunststoffanteil aus fossilen Rohstoffen in unseren Produkten zu verringern, beispielsweise bei unseren Kunstrasensystemen.
Gemeinsam mit dem brasilianischen Unternehmen Braskem, dem weltweit größten Hersteller von Biokunststoffen, haben wir unter anderem Poligras Tokyo GT entwickelt – ein Produkt, das für die Olympischen Spiele 2020 vorgesehen war. Sein größter Vorzug: Der Rohstoff besteht zu großen Teilen aus den Resten von Zuckerrohr, die nicht mehr für die Produktion von Lebensmitteln eingesetzt werden können. Poligras Tokyo GT und auch unsere weiteren Fußball- und Hockeykunstrasensysteme mit dem GT-Kürzel basieren auf I’m green™ Polyethylen, einem von Braskem entwickelten biobasierten Kunststoff.
Martin Clemensha aus dem Marketing & Product Management von Braskem erklärt uns im nachfolgenden Interview, was es mit diesen „grünen“ Kunststoffen auf sich hat, worin sie sich von biologisch abbaubaren Kunststoffen unterscheiden und welche Rolle sie in Zukunft spielen werden.
Die Vorteile von biobasiertem Kunststoff
ON TOP: Biobasierter Kunststoff: Was ist das eigentlich? Wo liegt der Unterschied zu Biokunststoff bzw. zu biologisch abbaubarem Kunststoff?
Martin Clemesha: Polyethylen wird herkömmlicherweise aus fossilen Rohstoffen wie Erdöl oder Erdgas hergestellt und ist in vielen Alltagsgegenständen enthalten – darunter sind Lebensmittel- und Getränkeverpackungen, Kosmetika, Plastiktüten und vieles mehr. I’m green™ Polyethylen oder „grüner“ Kunststoff wird dagegen aus einem nachwachsenden Rohstoff hergestellt: aus brasilianischem Zuckerrohr.
I’m green™ Polyethylen weist in Bezug auf Anwendungsbereiche und Leistungsfähigkeit dieselben Eigenschaften auf wie Polyethylen aus petrochemischen Rohstoffen – vor allem, was das Recycling betrifft. Bei unserer Suche nach nachhaltigen Lösungen hat sich I’m green™ Polyethylen als ein Material mit negativer CO2-Bilanz erwiesen und trägt somit zu einer emissionsarmen Wirtschaft bei.
Laut den Angaben des Vereins „European Bioplastics“ werden Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen bzw. biologisch abbaubare Kunststoffe als Biokunststoffe oder Biopolymere klassifiziert. Das bedeutet, dass der aus Zuckerrohr hergestellte Kunststoff mit I’m green™ Siegel ein Biokunststoff ist, obwohl das Produkt nicht biologisch abbaubar ist. Mehr dazu erfahren Sie unter www.european-bioplastics.org
ON TOP: Kleiner Ausflug in die Kunststoff-Historie: Seit wann gibt es biobasierten Kunststoff und warum erlebt er heute eine Renaissance?
Martin Clemesha: Biobasierte Kunststoffe werden seit über 100 Jahren verwendet. Das bekannteste Beispiel ist Zellophan, das bereits 1912 erfunden und patentiert wurde. Doch erst in den 1990er Jahren begannen einige Unternehmen wie Novamont und Natureworks, Biokunststoffe als die nachhaltigere Alternative zu petrochemischen Kunststoffen zu vermarkten. Mit dem 2010 eingeführten I’m green™ Polyethylen wurde Braskem zum weltweit größten Hersteller von Biokunststoff. Heute bieten wir über 30 Arten von biobasiertem LDPE, LLDPE, HDPE und EVA an.
Nachwachsende Rohstoffe für Kunstrasen
ON TOP: Der biobasierte Kunststoff nennt sich I’m green™ Polyethylen. Woher kommt der Name? Seit wann gibt es das Produkt? Wurde es von Braskem entwickelt?
Martin Clemesha: I’m green™ ist die von Braskem entwickelte Marke, die Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen in unserem Portfolio kennzeichnet. Damit unsere Kunden Produkte erkennen, die „grünes“ Polyethylen und/oder EVA enthalten, hat Braskem das Siegel I’m green™ kreiert. Diese Produkte müssen bestimmte von Braskem festgelegte Kriterien erfüllen, um das I’m green™ Siegel verwenden zu können. Seit 2007 entwickelt und verbessert das Unternehmen ständig die Produktionstechnik für grünes Ethylen und I’m green™ Kunststoff aus Bioethanol.
ON TOP: Durch welche Produkteigenschaften zeichnet sich I’m green™ Polyethylen aus und wo kommt es überall zum Einsatz?
Martin Clemesha: Wie schon erläutert, wird I’m green™ Polyethylen aus brasilianischem Zuckerrohr hergestellt, also aus einem nachwachsenden Rohstoff, die Eigenschaften sind die gleichen wie Polyethylen aus petrochemischen Rohstoffen. I’m green™ Polyethylen kommt in vielen Alltagsprodukten zum Einsatz, darunter flexible und feste Einwegverpackungen für Lebensmittel, Getränke und Kosmetika, aber auch in dauerhaften Anwendungen wie Vasen, Haushaltswaren und natürlich im Kunstrasen von Polytan.
ON TOP: Hat I’m green™ Polyethylen die gleiche Qualität wie hochwertiger Polyethylen-Kunststoff aus Erdöl? Gibt es Unterschiede beim Recycling?
Martin Clemesha: Die mechanischen Eigenschaften und Verarbeitungsmerkmale von I’m green™ Polyethylen sind identisch mit denen von Produkten aus petrochemischen Harzen. Das heißt, dass bei der Verwendung von I’m green™ Kunststoffen keine Investitionen in neue Anlagen erforderlich sind und die Prozessparameter in der Regel nicht signifikant abgeändert werden müssen, da es sich um ein sogenanntes „Drop-in-Biopolymer“ handelt. I’m green™ Polyethylen lässt sich genauso recyceln wie herkömmliches Polyethylen.
ON TOP: Wie wird I’m green™ Polyethylen hergestellt? Auf was achtet Braskem als Hersteller bei der Produktion?
Martin Clemesha: Ethanol aus Zuckerrohr wird bei Braskem angeliefert, in unserer Anlage dehydriert und in grünes Ethylen umgewandelt. Aus dem so entstandenen Monomer wird in der Polymerisationsanlage I’m green™ Polyethylen hergestellt. Dieser Kunststoff auf Zuckerrohrbasis wird an die sogenannten Konverter geliefert, die daraus Kunststoffprodukte fertigen.
Um sein Engagement für nachhaltige Entwicklung zu bekräftigen und auch die Ethanolproduktionskette miteinzubeziehen, hat das Unternehmen Braskem ein Programm für die verantwortungsvolle Ethanolbeschaffung entwickelt. Dieses Programm basiert auf zwei Säulen: Compliance und Exzellenz.
Unter Compliance verstehen wir, dass alle Lieferanten den von Braskem vorgegebenen „Code of Conduct“ einhalten. Dieser Verhaltenskodex legt die betrieblichen Standards im Umgang mit Personal, Umwelt und lokalen Gemeinschaften fest und macht Vorgaben zu Qualität und Effizienz.
Exzellenz umfasst ein Programm zur kontinuierlichen Verbesserung, das sich vor allem auf für die Ethanolproduktionskette wichtige Punkte konzentriert.
ON TOP: Der Klimawandel ist eines der dominierenden Themen. Wird der Bedarf an biobasiertem Polyethylen steigen und welche Herausforderungen bringt das für Braskem mit sich?
Martin Clemesha: Die Nachfrage nach Biokunststoffen mit einer nachweislich, also wissenschaftlich erwiesen niedrigeren CO2-Bilanz und einem starken Leistungsversprechen, wird sicher weiter steigen. Vor allem in Ländern, in denen Maßnahmen zum Schließen der Wettbewerbslücke zwischen Biopolymeren und herkömmlichen Kunststoffen umgesetzt werden, können wir dann neue Marktanteile hinzugewinnen. Die größte Herausforderung besteht darin, das Risiko im Zusammenhang mit Investitionen zum Ausbau unserer Produktionskapazitäten möglichst gering zu halten. Braskem möchte seine marktführende Position auf jeden Fall behalten.
ON TOP: Was sagen Sie Kritikern, die behaupten, dass beim Anbau von Zuckerrohr für industrielle Kunststoffe der Regenwald gerodet wird und außerdem der Bevölkerung Nahrungsmittel weggenommen werden?
Martin Clemesha: Zuerst einmal gilt es festzustellen, dass Zuckerrohr im Amazonasgebiet nur schlecht wächst. Der Großteil des brasilianischen Zuckerrohrs wird in mehr als 2000 Kilometern Entfernung vom Regenwald angebaut, und unsere Lieferanten sind dazu angehalten, nur degradiertes Weideland als Anbauflächen hinzuzugewinnen.
Darüber hinaus verfügt Brasilien über 301,1 Millionen* Hektar Ackerfläche, von denen 52,6 Prozent für die Viehzucht verwendet werden. 18,8 Prozent der Anbaufläche liegen brach und 28,5 Prozent werden landwirtschaftlich genutzt. Nur 1,4 Prozent* der gesamten Ackerfläche Brasiliens wird für die Ethanolproduktion genutzt, und der Bedarf an Ethanol für die Herstellung von I’m green™ Polyethylen beträgt nur etwa 1,8 Prozent der Gesamtproduktion an Ethanol, was 0,02 Prozent der Ackerfläche Brasiliens entspricht.
Die Verfügbarkeit von Ackerland in Verbindung mit einer möglichen Intensivierung der Viehwirtschaft macht Brasilien zu einem Land mit Ausbaupotential in der Landwirtschaft. Die Nutzung von Ackerland zur Erzeugung von anderen Produkten als Nahrungsmitteln sollte nur einen geringen Teil der verfügbaren Anbaufläche ausmachen – selbst dann, wenn man von dem optimistischen Szenario ausgeht, dass die Produktion von Chemikalien aus nachwachsenden Rohstoffen zunehmen wird.
Im Bundesstaat São Paulo, wo 60 Prozent* des brasilianischen Zuckerrohrs angebaut wird, achtet man beispielsweise bei der Bewirtschaftung auf den Fruchtwechsel mit Hülsenfrüchten, die den Stickstoff im Boden binden. 15 bis 20 Prozent der Anbaufläche für Zuckerrohr werden auch für den Anbau von Sojabohnen, Bohnen und Erdnüssen für die Nahrungsmittelerzeugung genutzt. Ausführliche Informationen dazu finden Sie auf der Webseite des Verbands der Zuckerrohrindustrie (UNICA).
Braskem setzt auf Nachhaltigkeit
ON TOP: Können Sie uns etwas zur Entwicklung von Braskem erzählen?
Martin Clemesha: Global gesehen werden wir uns künftig stärker am Menschen orientieren und vermehrt auf Nachhaltigkeit setzen. Braskem hat sich verpflichtet, mit seiner Wertschöpfungskette stärker zur Kreislaufwirtschaft beizutragen.
Die beinahe 8.000 Mitarbeiter des petrochemischen Unternehmens setzen sich jeden Tag dafür ein, das Leben der Menschen durch nachhaltige Chemikalien und Kunststoffe besser zu machen. Braskem ist innovationsfreudig und bietet ein umfangreiches Portfolio an Kunststoffharzen und chemischen Produkten für unterschiedliche Bereiche der herstellenden Industrie, etwa für Produzenten von Lebensmittelverpackungen und Gesundheits- und Hygieneprodukten, aber auch für die Bauindustrie, die Automobilbranche, die Agrarindustrie und viele mehr.
Mit 41 Industrieanlagen in Brasilien, den USA, Mexiko und Deutschland erwirtschaftet Braskem einen Nettoumsatz von 52,3 Milliarden R$ (13,2 Mrd. US$) und exportiert seine Produkte an Kunden in über 100 Ländern.
ON TOP: Wie sehen Sie die Zukunft von biobasiertem Kunststoff? Könnten biobasierte Kunststoffe irgendwann die erdölbasierten Kunststoffe komplett ersetzen?
Martin Clemesha: Der Anteil an biobasierten Kunststoffen wird sicherlich zunehmen und künftig einen wesentlich höheren Marktanteil darstellen.
*Quellen: IBGE, Conab und UNICA. Daten zusammengestellt von ICONE und Unica.