Dass ein Sportverein aus dem hohen Norden Deutschlands zum ökologischen Leuchtturmprojekt wurde, ist der Überzeugungs- und Tatkraft eines Spielervaters zu verdanken. Er holte Unternehmen, Politik und Behörden ins Boot, um zu beweisen, dass Sportanlagen mit Kunstrasenbelag durch innovative „grüne“ Technologien ökologisch „State of the Art“ sein können.
Egbert Haneke hatte eine Vision. Haneke wollte beweisen, dass Sportanlagen mit Kunststoffbelägen eine nachhaltige und umweltverträgliche Alternative sind. Da traf es sich gut, dass im heimatlichen Sportverein VfL Sittensen eine neue Anlage entstehen sollte.
Haneke überzeugte Vereinsmitglieder, Kommunalpolitiker und Mitbürger, dass alles eine Frage der richtigen Materialien, fortschrittlicher Technologien, wissenschaftlicher Dokumentation und innovativer Industriepartner sowie eines unermüdlichen Koordinators ist, um eine Anlage zu bauen, die in ökologischer Hinsicht ganz weit vorn ist. In Sittensen sollte ein Leuchtturmprojekt entstehen, dessen Strahlkraftweit über die Stadt hinausreichte. Erschwert wurde diese Mammutaufgabe, weil der Kunstrasen wegen des Gummigranulats in die Diskussion geraten war.
„Das war im Prinzip ein Prozess vor etwas über drei Jahren begonnen hat, erzählt Haneke, hauptberuflich Hochschullehrer für Bildende Künste in Hamburg. „Ich war zunächst nur ein Familienmitglied im örtlichen Sportverein.“ Der VfL Sittensen, gegründet 1904, der sich die Nachwuchsförderung auf die Fahnen geschrieben hat, ist ein Verein mit langer Tradition. Er bietet 17 Sparten an und zählt knapp 2.400 Mitglieder. Allein in der Sparte Fußball sind die Sittensener mit 18 Mannschaften und 420 Aktiven unterwegs.
Das zeigt, dass der Sportverein eine wesentliche Säule der gesellschaftlichen Teilhabe in dem knapp 11.000 Einwohner zählenden Ort zwischen Hamburg und Bremen ist. Dazu kommen die 1.200 Schüler der benachbarten Kooperativen Gesamtschule. Das muss eine Sportanlage aushalten können und sollte nach den Gründungsstatuten der Gesamtschule eine Typ-C-Sportanlage sein.
Diesen hohen Anforderungen ist nur ein Kunstrasenplatz gewachsen, um nicht nur eine höchstmögliche Nutzungsdauer zu erreichen, sondern auch Wasser und Kunstdüngerverbrauch sowie die Betriebskosten für die Pflege möglichst gering zu halten. Doch mitten in die Planungen platzte die Mikroplastikdiskussion um das Gummigranulat, ausgelöst von einer Fraunhofer-Studie, von der sich die Forscher dann aber distanzierten. „Die Kritik war meiner Meinung nach unberechtigt und nicht wissenschaftlich ausreichend untersucht“, sagt Haneke und machte sich auf, das Gegenteil zu beweisen.
„Schon währen der Planung der Anlagen haben wir uns intensiv mit der viel diskutierten Problematik einer Emission von Mikroplastik aus Kunstrasenanlagen auseinandergesetzt“, so Haneke. Doch solide wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema gab es aus seiner Sicht nicht. Haneke beschloss darum kurzerhand selbst ein groß angelegtes Forschungsprojekt zur „Ermittlung einer Mikroplastikemission aus Kunstrasensportanlagen und deren Vermeidung“ zu initiieren. Verein und Bürger waren begeistert und Haneke legte los.
Mit Erfolg. Er überzeugte nicht nur Spitzenpolitiker wie Olaf Lies, Minister des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz, die Schirmherrschaft zu übernehmen, sondern holte Industriepartner ins Boot. Einer der Ersten war Polytan. „Auch wenn die mich zunächst nicht ernst genommen haben. Wie auch? Da ruft einfach jemand aus Sittensen an und will so ein Projekt stemmen.“ Doch Geschäftsführer und Leiter des Produktmanagements Friedemann Söll erkannte den Nutzen des „Sportanlagenlabors“ Sittensen sehr rasch, um die Nachhaltigkeit der neuen Materialien und Technologien wissenschaftlich zu belegen.
Polytan installierte in Sittensen ein Kunstrasensystem, bei dem das PE-Garn aus nachwachsenden Rohstoffen (in dem Fall: Zuckerrohr) anstelle fossiler Werkstoffe hergestellt worden ist. Die Produktionskette ist darüber hinaus als CO2-neutral zertifiziert. „Dieser Rasen hat üblichen Kunstrasen-Systemen gegenüber einen sehr hohen PE-Garn Anteil, sodass wir dadurch auch den Einsatz des Infill auf ungefähr 2 kg/m² begrenzen konnten“, erklärt Haneke. Bei älteren Anlagen sind etwa sechs bis acht kg/m² üblich. Die reduzierte Menge tut, das kann man schon heute sagen, den hohen sporttechnischen Ansprüchen keinen Abbruch. Dazu kommt, dass das Gummigranulat zu 70 Prozent aus Hanf und Kreide, also natürlichen Rohstoffen besteht.
Auf einem Platz kommt das Gummigranulat zum Einsatz, auf dem anderen ein natürliches Infill. „Das Infill selbst besteht auf einer der beiden Anlage dazu noch aus abgerundeten kleinen Holzchips, die wir hier für und mit Polytan erstmalig erprobt haben“, sagt Haneke. Der Vorteil gegenüber Kork: Sie schwimmen nicht auf. Inzwischen wird das BrockFILL genannte Granulat nach den guten Erfahrungen in Sittensen offiziell von der Polytan angeboten.
Ergänzt wird das von einem weltweit erstmalig gebauten Prototypen eines Rinnen-Filtersystems der Firma Hauraton. Damit werden die Regenabflüsse der Sportanlagen durch einen hocheffektiven Substratfilter gereinigt, bevor das Wasser in die Rückhaltung gelangt. In Vorversuchen konnte eine 99-prozentige Rückhaltung von Mikroplastik ermittelt werden. Das System wird mittlerweile in Serie produziert.
Auf wissenschaftlicher Seite dokumentiert das Institut für Energie- und Umwelttechnik das Forschungsprojekt zur Erstellung einer neutralen Expertise. Natürlich könnte ein Verein das nicht allein schultern. Darum unterstützen nicht nur die Industriepartner das Projekt mit Wissen und Testmaterialien, auch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) fördert das Forschungsvorhaben finanziell. Das Umweltbundesamt (UBA) begleitet darüber hinaus den Prozess. „Das ermöglicht eine saubere und lobbyfreie Forschung, deren Ergebnisse bei einer Bewertung und Einschätzung der Europäische Chemikalienagentur (ECHA) akzeptiert werden“, ist sich Haneke sicher.
„Unser Ziel ist es besonders mit den Ergebnissen dieser Forschung auch anderen, wie Sportverbänden, Vereinen, Kommunen und Sponsoren eine Sicherheit zu vermitteln, wie ein Kunstrasen-Sportplatz dieser Bauart ökologisch einzustufen ist, um Entscheidungen mit „offenem Visier“ treffen zu können“, so Haneke. „Ebenso ist es uns ein Anliegen dafür zu sorgen, dass aufgrund der erwarteten Ergebnisse ab 2022 mehr Kunstrasen-Anlagen in Deutschland und Europa gebaut werden können, damit gerade Kindern verlässlich über das ganze Jahr Sport angeboten werden kann und so von Vereinen robuste Antworten auf mediale Tendenzen unserer Gesellschaft gefunden werden können.“
Dass das gelungen ist, beweist nicht nur die Kooperation beispielsweise mit dem Deutschen Fußballbund (DFB), der bereit 2 Testspiele der DFB-Regionalauswahl auf der Pilotanlage in Sittensen durchführte. Es zeigt sich auch an dem nicht abreißenden Strom an Fachbesuchern und Vertretern von Kommunen, Vereinen und Verbänden, die das „Wunder von Sittensen“ bestaunen möchten.
Interview mit Egbert Haneke - „Wir sind ein Leuchtturmprojekt in Sachen Nachhaltigkeit“
Ein Leuchtturmprojekt in der niedersächsischen Gemeinde Sittensen zeigt, wie nachhaltig Sportanlagen heute sein können. Zu verdanken ist das Egbert Haneke, Spielervater und Vereinsvorsitzender.
ON TOP: Herr Haneke, wie kommen Sie denn nur auf die Idee, als „normaler“ Spielervater ein solches Projekt anzustoßen?
Egbert Haneke: Sport ist so wichtig für das soziale Miteinander und das schon im Kindesalter. Die Covid-19-Pandemie hat das noch einmal mehr bewiesen. Mir ist es ein Anliegen, dass unsere Jugend ihre Freunde nicht nur online, sondern sich in der realen Welt treffen – und wo geht das besser als beim Sport im Verein. Der VfL spielt darum in unserem gesellschaftlichen Leben in Sittensen eine zentrale Rolle.
ON TOP: Wie sind sie denn vorgegangen?
Egbert Haneke: Als Hochschullehrer bin ich darin geübt, ein Projekt mit der Frage zu starten: Wo wollen wir hin? So bin ich auch das Vorhaben „nachhaltige Sportanlage“ angegangen. Ich habe das Konzept dem damaligen Vereinsvorstand, dem Bürgermeister und der Bevölkerung im Dorf präsentiert. Alles zogen mit und ich konnte an die Umsetzung gehen. Heute weiß ich, dass das etwas blauäugig war.
ON TOP: Warum?
Egbert Haneke: Weil ich, wie in der Hochschule, einfach mal gestartet habe. Aber das Glück war auf meiner Seite. Das Thema war durch die Berichterstattung aufgrund einer Studie in den Medien virulent. So konnte ich relativ schnell prominente Befürworter wie den niedersächsischen Umweltminister Lies dafür begeistern.
ON TOP: Ging das auch so reibungslos bei den Industriepartnern?
Egbert Haneke: Am Anfang wurde ich nicht ernst genommen. Das kann man den Unternehmen auch nicht verdenken. Da ruft ein Mensch aus Sittensen an und will so ein Projekt stemmen. Aber Beharrlichkeit zeichnet sich immer aus. Nachdem sie sich das Konzept angeschaut haben (vermutlich, um endlich Ruhe vor mir zu haben), erkannten die Unternehmen die Möglichkeiten, die sich durch die Forschung an der Sportanlage Sittensen ergaben.
ON TOP: Warum rückte das Thema Kunstrasen so in den Fokus?
Egbert Haneke: In verdichteten Orten wollen viele Menschen Sport treiben. Da müssen die Verantwortlichen darauf achten, dass sie eine entsprechende Infrastruktur dafür bereitstellen, welche in der Lage ist die erforderlichen Spielstunden zu ermöglichen. Da sind Kunstrasenanlagen viel besser geeignet, weil sie zwar höhere Investitionen erfordern, jedoch seitens der Pflege anspruchsloser und kostengünstiger sind. Dazu kommen noch die deutlich bessere Jahresnutzungsdauer, eine jahreszeitliche Unabhängigkeit und hohe Lebenserwartung. In der Planungsphase veröffentlichte dann das Fraunhofer Institut eine Konsortialstudie, welche die Kunstrasenplätze als extrem schadstoffbelastet einschätzte, finanziert allerdings durch Unternehmen die Mikroplastik einsetzen. Darauf stürzte sich die Presse.
ON TOP: Keine gute Voraussetzung für den Bau einer solchen Anlage. Wie haben Sie darauf reagiert?
Egbert Haneke: Ich habe gesagt: Wir werden das mal proaktiv angehen und schauen, ob wir nicht eine unabhängige Studie erstellen, um zu untersuchen, ob und wenn wie viel Schadstoffe aus Kunstrasenanlagen tatsächlich in die Umwelt und ins Wasser gelangen. Mit dieser Grundvoraussetzung bin ich losgezogen. Mit den Partnern Hauraton, die das Regenwassermanagement entwickelten, und Polytan kam der Forschungsansatz in Gang, begleitet vom Institut für Energie- und Umwelttechnik. Die Studienergebnisse werden im Laufe des nächsten Jahres veröffentlicht.
ON TOP: Und wie ist der momentane Stand?
Egbert Haneke: Wir gelten schon jetzt als Leuchtturmprojekt in Sachen Nachhaltigkeit. Was übrigens nicht nur die Sportanlagen, sondern die kompletten Vereinsaktivitäten einbezieht. Und ich bin zwischenzeitlich zum Vorstand gewählt worden.