Im Zuge der Entwicklung des weltweit ersten CO2-neutralen Kunstrasens für Feldhockey – Poligras Paris GT zero – rückt Hockey wieder stärker in unseren Fokus. Wir haben deshalb gerne die Gelegenheit genutzt, Valentin Altenburg, den Bundestrainer der Hockey-Nationalmannschaft der Damen – die Danas – zu einem Interview zu bitten. Im Rückblick auf die Hockey-Weltmeisterschaft in Spanien und in den Niederlanden und in der Vorausschau auf die Olympischen Spiele 2024 in Paris.
ON TOP: Valentin Altenburg, wir freuen uns, dass Sie sich heute Zeit für unser Interview nehmen. Können Sie uns und unseren Lesern bitte vorab kurz Ihren persönlichen Werdegang hin zum Hockey-Bundestrainer skizzieren?
Valentin Altenburg: Puh, dass ist alles schon erschreckend lange her;) Ich habe ein Studium der Betriebswirtschaftslehre in Mannheim studiert. Das Leben als Student war damals noch ein freies Leben mit hoher Selbstverantwortung und kaum Verpflichtungen. Diese Freiräume haben mir gut gefallen und ich besuchte viele Vorlesungen, die mit BWL nicht viel zu tun hatten, zum Beispiel in Psychologie, Literatur- und Sprachwissenschaften. Daneben habe ich Hockey gespielt, beim großartigen Hockey Club TSV Mannheim und habe als Trainer bei den Stuttgarter Kickers gearbeitet. Nach meinem BWL-Diplom hab ich dann einen kombinierten Masterabschluss an WHU und der Bucerius Law School in BWL und Rechtswissenschaften drangehängt und mit unserem heutigen Sportdirektor Martin Schultze zusammen die UHC Herren trainieren dürfen. Später habe ich an der Universität St.Gallen meinen Sportmanager gemacht.
Meine ersten beruflichen Schritte nach dem Studium machte ich jedoch in einem ganz anderen Bereich: Über Teach First, eine Organisation, die Hochschulabsolventinnen und -absolventen an Brennpunktschulen in Deutschland vermittelt, kam ich an eine Grundschule in Hamburg, wo ich für zwei Jahre unterrichtet habe. Und rückblickend kann ich sagen: Das war die lehrreichste Zeit meines Lebens. Denn als Klassenlehrer an meiner Schule habe ich gelernt, wie viel Zeit es braucht und wie viel Arbeit es ist, sich das Vertrauen von jungen Menschen zu erarbeiten, wenn anders als oft im Hockey das Vorvertrauen fehlt. Ich habe fast 6 Monate gebraucht, um eine belastbare Beziehungsebene herzustellen, die auch Unterricht möglich hat werden lassen. Da bin ich immer wieder aufs Neue krass gescheitert und war nah dran hinzuschmeißen. Aus vorbelasteten, belastbare Beziehungen zu machen, dass ist eine Fähigkeit, die mir auch als Hockey-Bundestrainer hilft.
ON TOP: Stichwort Bundestrainer. Kommen wir zum Hockey …
Valentin Altenburg: Rein in Zahlen heißt das: Seit 2005 bin ich Diplom-Trainer der Deutschen Trainerakademie und zugleich Bundestrainer im Nachwuchsbereich. Seit 2016 arbeite ich als Bundestrainer, erst bei den Herren und jetzt bei den Damen, seit Januar 2022 um genau zu sein.
ON TOP: Was fasziniert Sie am Hockey-Sport? Welche Aufgabe haben Sie sich als Nationaltrainer gestellt?
Valentin Altenburg: Ich mag die Spielgeschwindigkeit, die technische Raffinesse und die vielen taktischen Möglichkeiten, die unser Sport bietet. Mein Ziel als Trainer ist es, dass meine Mannschaften schwer zu schlagen sind und attraktives Hockey spielen. Platzierungen sind dann das, was daraus folgt, nicht andersherum. Das Faszinierende am Leistungssport ist für mich, dass es immer wieder möglich ist, für Überraschungen zu sorgen. Das gelingt dann, wenn wir auf diese Gelegenheit auch vorbereitet sind. Ich will eine Vorfreude kreieren, die zeigt: Wenn wir K.o.-Spiele verlieren können, dann können wir sie auch gewinnen. Ich will ein Team, das sich selbst überraschen kann und will. Außerdem liebe ich das Fair Play im Hockey-Sport, diese elegante und zugleich dynamische Spielweise – und natürlich die Menschen der Hockey Familie, die etwas ganz Besonderes ist.
Meine Aufgabe als Bundestrainer besteht darin eine erfolgreiche Mannschaft zu entwickeln und zusammenzustellen. Ich muss schauen, wer in Kombination mit wem seine Leistung am besten entfalten kann. So entwickle ich ein Team, das an der Weltspitze dicke Spiele für sich entscheiden wird. Unser ProLeague Sieg in Argentinien gegen Argentinien war ein erster Schritt in diese Richtung.
ON TOP: Wenn wir von den großen Hockey-Nationen sprechen, werden stets die Niederlande, Argentinien und Spanien genannt, dazu die „klassischen“ Hockey-Länder wie England, Indien und Pakistan. Erzählen Sie uns etwas über Hockey in Deutschland, z.B. über den Sport an Schulen, über die Vereine, die Regionen, die Popularität.
Valentin Altenburg: Hockey ist in Deutschland eine Sportart, die seit Jahren kontinuierlich wächst. Vor allen in den städtischen Metropolen ist Feldhockey stark verbreitet, etwa in Hamburg, meiner Geburtsstadt. Hockey ist mittlerweile gut organisiert und in eine sehr starke und innovative Vereinsstruktur eingebunden. Kurz und gut: Es ist ein großartiger Sport für Jung und Alt, ebenso für Mädchen wie Jungs. Und da steckt viel Zukunft drin.
ON TOP: Wie stark ist die Hockey-Bundesliga im Vergleich zu anderen europäischen Ligen, etwa in den Niederlanden oder Belgien?
Valentin Altenburg: Die Hockey-Bundesliga hat in den letzten Jahren sportlich enorm an Attraktion hinzugewonnen. Nur ein Beispiel: Neben vielen deutschen Hockeystars spielen inzwischen sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern zahlreiche internationale Topsstars.
ON TOP: In der Bundesliga geht der Trend bei den Damen gerade wieder in Richtung Defensivhockey, Düsseldorf ist damit zweimal in Folge Meister geworden. Können Sie mit diesem System, in dem ein zentralisiertes Training, wie es die meisten starken Hockeynationen betreiben, nicht möglich ist, erfolgreich sein?
Valentin Altenburg: Auf jeden Fall. Die Hockeyliga war in dieser und der letzten Saison so ausgeglichen wie schon lange nicht mehr. Gleichzeitig würde ich mir wünschen, dass in der Liga noch attraktiveres Hockey erfolgreich gespielt würde. Das werden wir mit einer engeren Zusammenarbeit mit der aktuellen Generation an Ligatrainern entwickeln. Es ist große Aufbruchstimmung zu spüren, in der kommenden Saison werden weitere internationale Topstars in Deutschland spielen. Es würde mich daher nicht überraschen, wenn wir uns auf die beste Damen-Bundesliga aller Zeiten freuen könnten. In der vergangenen Saison waren wir da sicherlich noch nicht. Was das deutsche Leistungssportsystem angeht: Wir können in unserem dezentralen System sehr erfolgreich sein. Ich bin froh, dass meine Spielerinnen in vielen verschiedenen Vereinen fest verwurzelt sind und damit greifbare Vorbilder für die kommende Hockeygeneration verkörpern.
ON TOP: Deutschland ist im Feldhockey seit Jahrzehnten sehr erfolgreich, das gilt für die Herren ebenso wie für die Damen. Was macht den deutschen Hockeysport so stark?
Valentin Altenburg: Vor allem die Notwendigkeit unserer Nationalmannschaften, einen eigenen, dualen Weg zu gehen. Hinzu kommt die starke Vereinslandschaft in Deutschland, die bei den Hockeyspielern und -spielerinnen nicht nur die sportliche Seite fördern, sondern auch die Persönlichkeit. Das ist oftmals die Grundlage der Liebe zum Hockeysport, die ein ganzes Leben dauert und auch von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Polytan: Kommen wir zur Nationalmannschaft der Hockey-Damen. Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung der Mannschaft? Wie ist ihr Stand? Die Weltmeisterschaft 2022 war ja ein erster Gradmesser …
Valentin Altenburg: Trotz des respektablen, aber dennoch undankbaren vierten Platzes bei der Weltmeisterschaft überwog am Ende der Stolz auf die eigene Leistung. Die Mädels haben den Glauben zurückgewonnen, dass sie an der Weltspitze mithalten können. Das ist vielleicht der größte Gewinn des Turniers. Zudem haben die DANAs in 2022 eine beeindruckende Leistungsentwicklung genommen. Im Laufe der WM haben sie sich zu einer verschworenen Einheit entwickelt, die hoch attraktives Hockey gespielt hat. Für mich ablesbar anhand einer Statistik, die mich enorm beeindruckt hat: Die deutschen Damen haben sich alle drei Minuten eine Torchance – Torschuss oder kurze Ecke – herausgespielt. Mehr als alle anderen Mannschaften.
ON TOP: Werfen wir einen Blick nach vorn. Wie sieht eine leistungsorientierte Vorbereitung auf Paris 2024 aus?
Valentin Altenburg: Ende Oktober ist der Startschuss für das nächste Kapitel der Danas. Das Ziel dabei ist natürlich die direkte Qualifikation für die Olympischen Spiele in Paris. Die erste Möglichkeit uns zu qualifizieren, ist die Europameisterschaft im eigenen Land im kommenden Sommer in Mönchengladbach. Die Qualifikation geht über den Europameistertitel. Also werden wir weiter daran arbeiten, verlässlich aus der eigenen Kraft K.O.-Spiele zu gewinnen.
ON TOP: Platz 4 bei der letzten Weltmeisterschaft – was erwarten Sie von
der deutschen Mannschaft in Paris?
Valentin Altenburg: Ich erwarte in Paris und auf dem Weg dorthin ein mutiges und spielstarkes deutsches DANAS Team. Ich will Teil eines Trainerteams einer Mannschaft sein, die initiativ ist, das Spiel an sich reißen kann und aus ihrer eigenen Kraft heraus auch die dicken Spiele für sich entscheidet.
ON TOP: Werfen wir den Blick noch weiter nach vorn. Wie ist es um den Nachwuchs im deutschen Hockey bestellt?
Valentin Altenburg: Gut! Die Juniorinnen sind in diesem Jahr Vize-Weltmeister und Europameister geworden. Hier kommen vielversprechende Talente nach, und zwar jede Menge, auf die ich mich freue.
ON TOP: Ein Blick zurück. Wie hat sich das Verhältnis zwischen Trainern und Spielern in den letzten 10 Jahren entwickelt und dabei verändert?
Valentin Altenburg: Vor 10 Jahren waren Bundestrainer die Zentralinstanz des Wissens schlechthin. Was sie forderten und verkündeten, war „Gesetz“. Heute dagegen wird das, was von der Mannschaftsführung kommt, hinterfragt, beispielsweise, ob etwas sinnvoll ist oder gar kontraproduktiv. Da ist sehr viel mehr Selbständigkeit und Selbstbewusstsein vorhanden.
Außerdem bedürfen Entscheidungen einer Erklärung. Das Verhältnis hat sich gewandelt: weniger Einbahnstraße, mehr Augenhöhe. Die Autorität des Trainers resultiert weniger aus dem Amt an sich, als vielmehr durch die erbrachte Leistung. Das Beste daran: Diese Veränderungen haben das Potenzial, das Verhältnis zwischen Spielerinnen und Trainern oder Trainerinnen zu intensivieren.
Eine weitere Veränderung: Ich arbeite seit einigen Jahren in Bundestrainerteams. Ich brauche und erwarte ja von meinen Spielerinnen eine hohe Teamfähigkeit. Diese selbst auch vorzuleben, fiel mir persönlich schwer. Durch unsere Trainerteams auf Augenhöhe gibt es heute weniger Blindspots, sture Alleingänge und weniger Einsamkeit als Bundestrainer.
ON TOP: Welche Trends beobachten Sie gegenwärtig im Hockey, etwa im Hinblick auf Taktik, Fitness, Fähigkeiten, Spielformate?
Valentin Altenburg: Der Megatrend ist natürlich der Schlenzball auch in den Kreis. Schon weil ihn inzwischen fast alle Spielerinnen auch aus dem laufenden Spiel nutzen können. Das führt zu einer noch schnelleren Überbrückung von Räumen und damit einer hohen Anforderung an die Laufleistung und die technische Fähigkeit des Spiels beim Überschlenzen.
ON TOP: Was ist die größte Veränderung, die Sie in den letzten zehn Jahren im Hockeyspiel registriert haben?
Valentin Altenburg: Der Selfpass hat das Feldhockey revolutioniert und ihm gleichzeitig seine Einzigartigkeit gegeben. Der Selfpass ist zweifellos der Signature Move unseres Sports.
ON TOP: Was halten Sie von der Bewerbung Englands um die Austragung der Hockey-Weltmeisterschaft der Herren im Tottenham Football Stadium?
Valentin Altenburg: Finde ich richtig klasse. Hockey hat in England eine lange und besondere Tradition, dazu kommt, dass das englische Hockey-Publikum schlicht großartig ist. Und das neue Stadion mit einem Fassungsvermögen von 62.850 Zuschauern – einfach eine Wucht. Ich hoffe, da weht noch immer ein bisschen vom Geist der alten White Hart Lane…
ON TOP: Stichwort „großartige Spieler“- wer sind die besten Spieler und Spielerinnen, die Sie jemals gesehen haben?
Valentin Altenburg: Spontane Antwort – Björn Emmerling und Moritz Fürste sind die vielseitigsten Spieler, mit denen ich bisher zusammengearbeitet habe. Der Niederländer Teun de Nooijer ist der beste, dem ich zusehen durfte.
ON TOP: Welche Spieler und Spielerinnen stechen aktuell hervor?
Valentin Altenburg: Das ist schwierig, kurz und bündig zu beantworten. Es gibt zahlreiche Top-Spieler und Spielerinnen weltweit. Im Damenbereich sind es insbesondere María Granatto und Margot van Geffen die den Unterschied machen. Bei den Herren spielt Thierry Brinkman mit einer ganz besonderen Qualität.
ON TOP: María José Granatto war „Player of the 2022 Women’s World
Cup” – was macht sie so gut?
Valentin Altenburg: Sie ist schwer vom Ball zu trennen, sehr wendig und super zielstrebig Richtung Tor. Ihr Spiel lebt von ihrer hohen technischen Qualität und Kreativität im direkten Duell.
ON TOP: Letzte Frage: Hockey 5s. Die Hockey 5s-Weltmeisterschaft wird Anfang 2024 stattfinden. Wie steht der deutsche Hockeysport zu Hockey 5s – diesem neuen superschnellen, kurzen Hockeyformat?
Valentin Altenburg: Der deutsche Hockeysport ist in dieser Hinsicht noch skeptisch, ich bin es auch. Hockey 5s ist ja eigentlich entwickelt worden als ein niedrigschwelliges Einstiegsformat für Hockey, spielbar auf allen denkbaren Untergründen. Ich bin überzeugt, dass es für dieses Ziel eine geeignete Option sein kann. Ob es zukünftig auch in den High Performance Bereich gehört und sich hier etabliert, werden die nächsten Jahre zeigen.
ON TOP: Vielen Dank, Valentin Altenburg, für dieses informative Interview. Und viel Glück für Sie und die Danas in Paris!